Alkoholabhängigen Berufskraftfahrern kann selbst bei Trunkenheitsfahrt nicht ohne weiteres gekündigt werden
27. Januar 2015 - Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.08.2014 - 7 Sa 852/14
Orientierungssatz:
Die Kündigung eines alkoholabhängigen Kraftfahrers wegen einer betrieblichen Trunkenheitsfahrt ist nur gerechtfertigt, wenn in Zukunft mit weiterem Fehlverhalten zu rechnen ist.
Sachverhalt:
Der alkoholkranke Kläger war als Kraftfahrer beschäftigt. Er verursachte während einer Arbeitsfahrt einen Auffahrunfall. Die nachfolgende Blutprobe der Polizei ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,64 Promille. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, dass der Kläger gegen das im Betrieb bestehende Alkoholverbot verstoßen und seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe. Der Kläger begab sich freiwillig in eine Entzugsbehandlung, aus der er gemäß Entlassungsbericht der Deutschen Rentenversicherung als Kraftfahrer arbeitsfähig entlassen wurde.
Das LAG erklärte die Kündigung für unwirksam. Es liege zwar eine Pflichtverletzung vor. Wegen der Alkoholkrankheit des Klägers seien jedoch die für eine krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätze maßgeblich, denn dem Kläger sei infolge seiner Abhängigkeit zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen. Eine Kündigung sei daher nur gerechtfertigt, wenn eine Prognose im Zeitpunkt der Kündigung ergebe, dass der Arbeitnehmer auf Grund seiner Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr biete, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen. Daraus müsse eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgen, die nicht durch mildere Mittel, wie etwa durch eine Versetzung, abgewendet werden kann und die vom Arbeitgeber auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.
Auch wenn auf die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung abgestellt werde, sei die Kündigung nicht gerechtfertigt. Es fehle auch in diesem Fall wegen der Therapiebereitschaft und dem Alkoholentzug des Klägers an der erforderlichen negativen Zukunftsprognose. Zudem setze eine verhaltensbedingte Kündigung eine erfolglose Abmahnung voraus.
Praxisbedeutung:
Das LAG erkennt eine Alkoholerkrankung auch kündigungsschutzrechtlich als Krankheit an. Dies hat zur Folge, dass die betroffenen Arbeitnehmer einen höheren Schutz genießen. Sie erhalten insbesondere die Chance, sich in eine entsprechende Suchtbehandlung zu begeben, um künftige Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.
28. März 2017
Aus meiner Sicht ist eine gewisse Änderung der Rechtsprechung eingetreten, vielleicht sogar eine Kehrtwende. In einer neueren Entscheidung kommt das BAG zu dem Schluss, dass ein Berufskraftfahrer dessen Fahrtüchtigkeit durch die Einnahme von Drogen nicht gefährden darf. Ein Verstoß hiergegen kann sogar eine außerordentliche Kündigung. Das BAG betont, dass es keinen Unterschied macht, ob der Drogenkonsum vor oder während der Arbeitszeit erfolgte.
www.kanzlei-mudter.de/ausserordentliche-kuendigung-und-drogenkonsum.html
26. Dezember 2016
Sehr interessant. Als Arbeitgeber sicherlich hart zu verstehen. Eine offene Kommunikation wäre hier wichtig, aber das ist bei Alkoholerkrankungen ja selten. Nicht verwunderlich, dass sowas beim Anwalt für Arbeitsrecht landet.
13. Mai 2015
Interessantes Urteil! Wie haben die Arbeitsgeber darauf reagiert?